Coaching vs. Management Teil 1: Meinen Platz finden IWadmin 12. März 2024

Coaching vs. Management Teil 1: Meinen Platz finden

Es war ein sonniger Tag in München. Ich war ein junger, aufstrebender Berater, voller Aufregung vor meiner ersten Führungsaufgabe, der direkten Leitung eines Teams, und ich bereitete mich auf eines der ersten Einzelgespräche mit einem meiner Teammitglieder vor. Ich kannte mein zukünftiges Team bereits, hatte mit den meisten von ihnen bereits zusammengearbeitet, kannte die Unternehmenskultur und hatte mir vorgenommen, mit einem neuen Führungsstil eine Welle der Veränderung im ganzen Unternehmen anzustoßen. Ausgestattet mit meinem Notizblock, einem Cappuccino, einer Portion Stolz und in vollem Hipster-Outfit ging ich zu meinem Teammitglied.
Die Realität holte mich schnell ein, und ich wurde mit Fragen bombardiert, auf die ich weder vorbereitet war noch Antworten hatte. Vor allem eine Frage hallte bis vor kurzem noch in meinem Kopf nach: „Hast du Erfahrung im Coaching oder hast du eine Coaching-Ausbildung gemacht? Als mein Chef erwarte ich von dir, dass du mich coachst und mich darin unterstützt, mich weiterzuentwickeln.“ Ich hatte weder Erfahrung noch eine Ausbildung als Coach.
Damit war der Keim des Zweifels an meiner Führungsrolle gepflanzt.

Meiner Rolle als Führungskraft nimmt Gestalt an

Ich wuchs weiter in meine Führungsrolle hinein und fungierte als Mentor und Coach für mein Team – oder zumindest als das, was ich mir unter diesen Rollen vorstellte. Ich konzentrierte mich darauf, meinen Teammitgliedern aktiv zuzuhören, Fragen zu stellen, neue Perspektiven anzubieten und klares Feedback zu geben. Ich bemühte mich, ihre Werte, Träume und Ziele zu verstehen, damit ich ihnen helfen konnte, diese auf ihre Arbeit anzuwenden und sie mit unseren Unternehmens- und Teamzielen zu vereinen.
Mein Team schätzte diesen Führungsstil, der sie darin unterstützte, ihre Karriere zu verfolgen und voranzutreiben. Ich habe sie motiviert, ihre Komfortzone zu verlassen, ihnen geholfen, neue Aufgaben zu übernehmen, und sie dabei unterstützt, persönlich zu wachsen.
Mit diesem Führungsstil konnte ich meinen Einfluss sogar über mein Team hinaus ausweiten. Ich hatte einen nachhaltigen Einfluss auf die gesamte Organisation, was es mir ermöglichte, in Führungspositionen mit noch mehr Verantwortung hineinzuwachsen und das gesamte Service-Portfolio meines Bereiches zu verantworten und weiterzuentwickeln.
Mit dem größeren Einfluss auf die Organisation spürte ich auch die Last der schwereren Verantwortung auf meinen Schultern. Plötzlich stand ich vor der Herausforderung, meine Wünsche, die Ziele meiner Teammitglieder und die Unternehmensziele in Einklang zu bringen.
Letztlich hatte ich Ziele, die ich verfolgte, und Erwartungen von anderen an mein Team, die ich erfüllen musste. Diese reichten über die persönliche Karriere und die persönliche Entwicklung der einzelnen Teammitglieder hinaus – so hatte ich unter anderem Ziele für Neugeschäft, eine stabile Erbringung der Services und die Einhaltung des Budgets.
Mit diesen Zielen war ich nur so leistungsfähig wie mein Team.

Der Coach vs. Der Manager

Dies konfrontierte mich sehr abrupt und schmerzhaft mit den Grenzen des Coachings als Manager. Doch zunächst: was sind eigentlich die Unterschiede zwischen einem Coach und einem Manager?
Als Coach bist du nicht Teil des Systems deines Coachees. Dein Ziel ist es, deinen Coachee dabei zu unterstützen, dessen ganz eigenes Ziel zu erreichen: Deine und seine Ziele dürfen sich nicht überschneiden!
Der Coach ist für den Prozess verantwortlich, wie der Coachee das gewünschte Ziel erreicht, aber das Ergebnis davon liegt vollständig in der Verantwortung des Coachees.
Im Vergleich dazu: als Manager sind deine Teammitglieder ein wesentlicher Teil deines Unternehmenssystems – sie sind von dir ebenso abhängig wie du von ihnen (auch wenn einiger Manager denken, dass es sich um eine unidirektionale Abhängigkeit handelt).
Du bist verantwortlich (im Sinne von rechenschaftspflichtig) für den Prozess, nach dem dein Team arbeitet UND für die Ergebnisse, die es damit erzielt – der entscheidende Unterschied, der zu einer völlig anderen Verantwortung und Rolle für eine Führungskraft führt.
Wenn du als Manager coachst, verlierst du die entscheidende und unabhängige Perspektive eines Dritten. Du riskierst, deine Teammitglieder, zu deinen Gunsten zu manipulieren, um deine Ziele zu erreichen – und dies als Coaching zu tarnen.
Wenn du hingegen ehrlich als Coach agierst, machst du Kompromisse in deiner Verantwortung als Führungskraft und letztlich auch bei deinen persönlichen Zielen.
In meinem Fall führte das dazu, dass ich zu sehr Coach und zu wenig Manager war. Am Ende hatte ich ein begeistertes Team, dessen Mitglieder erfolgreich ihren Weg verfolgten und als fröhliches und zufriedenes Team zusammenarbeiteten. Dennoch habe ich mich selbst als Manager kompromittiert, meine Ziele verfehlt und bin in meine Karriere nicht vorangekommen.
Ich hatte das Gefühl, als Führungskraft versagt zu haben, als ich im Vergleich zu meinen Kollegen Karriererückschläge erlebte, weil ich nicht die gleichen zahlen-fokussierten KPIs erreichte. Dies war ein Wendepunkt in meinem Verständnis über meine Rolle als Führungskraft.
Sich stets seiner Rolle, ihrer Verantwortung und der möglichen Auswirkungen seines Handelns – für sich selbst und andere -bewusst zu sein, ist also entscheidend.

Der Coach

Ist nicht Teil des Systems des Coachee

Unterstützt den Coachee auf Augenhöhe

Hat das Ziel, dass der Coachee sein Ziel erreicht

Ist verantwortlich für den Coaching-Prozess, nicht für die Ergebnisse, die der Coachee für sich selbst erzielt

Unterstützt den Coachee beim Wachsen

Der Manager

Ist Teil des Systems des Teams

Leitet ein Team als eine Gruppe von Mitarbeitern

Hat eigene Ziele, die er mit den Zielen des Teams in Einklang zu bringen versucht

Ist für die Prozesse und Ergebnisse des Teams verantwortlich

Unterstützt das Team beim Wachstum

Systemische Herausforderungen in der modernen Arbeitswelt

Die Rolle und Erwartungen an einen Manager sind natürlich von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich und hängen von der Führungskultur der Organisation ab.
In deinem Unternehmen herrscht vielleicht eine Kultur des Empowerment und des Enablement, in der dein Vorgesetzter deine Ziele aktiv unterstützt. Ganz im Gegenteil, kannst du aber auch zwischen den Erwartungen deines Vorgesetzten, deiner Stakeholder und deines Teams in die Enge getrieben werden und so keinen Raum für deine Ziele haben.
Das System deiner Organisation schränkt deine Möglichkeiten als Führungskraft ein, da du als Einzelperson nur einen begrenzten Einfluss und Kontrolle hast.
Erfolg im Management resultiert aus der Fähigkeit zwischen Stakeholdern aus allen Himmelsrichtungen zu navigieren und verschiedene Führungsstile auszubalancieren. Du musst die Werte und Bestrebungen aller beteiligten Personen (dein Team, Kollegen, Manager, Kunden und andere) und die Beziehungen zwischen ihnen, die sie als System ausmachen, verstehen.
Als Manager bist du ein direkter Teil dieses Unternehmenssystems mit direkten Verbindungen zu seinen Teilnehmern und musst dich deiner Position und Macht in diesem System bewusst sein.

Das System einer Organisation muss dich dabei nicht einschränken. Im Gegenteil, wenn du das System verstehst, kann es dir helfen, deinen Einfluss als effizienter und effektiver Manager schneller wachsen zu lassen.

Meinen Platz als Manager und als Coach finden

Indem ich mir meines Unternehmenssystems, der jeweils aktuellen Situation und meiner Rolle(n) bewusster wurde, konnte ich meine Fähigkeiten als Manager und Coach effektiver einsetzen. So habe ich meine Ziele priorisiert und wurde auch meinem Team gegenüber spezifischer, was wir gemeinsam erreichen wollen, indem ich ihnen direktere Vorgaben machte. Gleichzeitig konnte ich sie bei Bedarf als Coach unterstützen, damit sie sich auf ihrem Karriereweg weiterentwickeln und ihre Ziele erreichen konnten.
Das war ein Wendepunkt für mich, an dem ich mehr Klarheit über meine Zuständigkeiten und Ziele erlangte, mich besser fokussieren konnte und in der Lage war, meine verschiedenen Fähigkeiten optimal zu nutzen.
Damit habe ich dann auch meine Ziele sowie die angestrebte Beförderung erreicht – und mein Team glücklich gemacht.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Manager und Coach zwei unterschiedliche Rollen sind. Während Coaching-Skills als Manager von Vorteil sind, ist es wichtig, sich seiner Rolle, der damit verbundenen Verantwortlichkeiten und deren Grenzen bewusst zu sein. Entsprechend musst du die Art der Kommunikation und Interaktion mit anderen wählen – sei es mit deinem Team oder deinem Coachee.
Auch wenn die Aufnahme von Coaching-Skills in dein Repertoire von Führungsstilen deine Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche Kontexte und deine Fähigkeit, dein Team in einem bestimmten Kontext zu unterstützen, verbessern kann, lautet die goldene Regel für mich: Als Manager bist du nicht der Coach für dein Team sein!